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Schwabinger Kunstfund - Größere Entdeckungen sind trotzdem nicht zu erwarten.

Dass ein Steinwurf vom Kunstareal München entfernt ein verschollener Kunstschatz dieser Dimension so lange verborgen lag, ist unglaublich. Der Fund ist grandios, fabelhaft und natürlich eine Sensation - aber der Fund wirft viele Fragen auf. Für mich stellt sich allem voran die Frage: Darf die Öffentlichkeit den 1.500 Bilder mächtigen Schatz in Augenschein nehmen? 

Die Sammlung Cornelius Gurlitt - wenn ich sie hier so nennen darf - muss aus kulturhistorischer Sicht dringend ans Licht der internationalen Öffentlichkeit kommen - die dunklen Gefängniskammern der Münchner Justiz sind definitiv der falsche Ort, diese Schätze aufzubewahren. Der Fund darf kein Staatsgeheimnis sein, er gehört auch nicht in den "Giftschrank", warum auch? 

Ich wünschte mir im Haus der Kunst eine temporäre Ausstellung - rechtlich ist das sicherlich unmöglich, aber es wäre der richtige Ort um 80 Jahre nach der Ausstellung "Entartete Kunst" in den angrenzenden Hofgarten Arkaden heute im Haus der Kunst diese 1.500 Exponate auszustellen, gerade weil das Haus der Kunst als ein zentraler Tatort für die Kunst der NS-Propagandamaschinerie fungierte und auch immer wieder in den letzten Jahren mit der Aufarbeitung der Kunst im Nationalsozialismus beschäftigt war. 

Die Nationalsozialisten deklarierten die Expressionisten als "wahnsinnige Verfallskünstler" und taten alles Erdenkliche, um die staatliche Kunst- und Kulturproduktion im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie voranzutreiben. Der Vernichtungskampf und Bildersturm auf die Moderne Kunst wurde vom München strategisch geplant und rigoros verfolgt. Auf subtile Weise verstand es das NS-Regime, die Avantgarde zu diffamieren, zu demütigen und zu verfolgen und die Werke gewinnbringend zu veräussern. Wir dürfen nicht vergessen, dass einige Künstler in den Selbstmord getrieben wurden, in Konzentrationslagern gequält und ermordert wurden, weil sie ihre Gefühle und Meinungen in ihren Werken offen zeigten. Als Kunstvermittlerin träume ich von der temporären Gurlitt-Ausstellung im Haus der Kunst. Pädagogisch kann an diesem Ort wirksam/anschaulich gearbeitet werden.

Enst Ludwig Kirchner nahm sich 1938 mit einer Schusswaffe das Leben


Die Grausamkeit des Ersten Weltkriegs war unübertroffen. Die Kunst bot die Chance, die Ereignisse zu verarbeiten und das Desaster als Warnung für die nächsten Generationen für immer im historischen und kulturellen Langzeitgedächtnis zu verankern. Gerade die Expressionisten beschäftigten sich mit den inneren Gefühlswelten der Menschen. Die Sehnsucht nach Liebe, Glück, Menschlichkeit und Harmonie war sehr groß, jedoch begleiteten Hass, Tod, Krieg und Zerstörung den Alltag. Dieser "Kampf der Gefühle" wurde in den Bildern der Expressionisten überaus lebendig dargestellt und für uns Betrachter heute ist diese Unmittelbarkeit der Bilder so stark wahrzunehmen.  

Die Selbstbildnisse der expressionistischen Künstler decken oftmals tiefe seelischen Wunden auf. Das "Selbstbildnis eines Kranken" (1918) von Ernst Ludwig Kirchner ist ein berühmtes Beispiel für diese "expressionistische Selbstschau" - dieses Werk der Klassischen Moderne kann jedoch schon heute in der Pinakothek der Moderne besucht werden. Ein Besuch lohnt sich immer! 

Hildebrand Gurlitt, der Vater von Cornelisus Gurlitt war einerseits damit beauftragt, beschlagnahmten Meisterwerke und Entartete Kunst aus deutschen Museen für die Nationalsozialisten ins Ausland zu verkaufen. Zum anderen war Gurlitt nach Beginn des Zweiten Weltkriegs als einer der Haupteinkäufer für das Hitlermuseum in Linz am nationalsozialistischen Kunstraub vorwiegend in Frankreich beteiligt. 

Ach ja, dies noch zum Schluss:

Am Ende hatte sich nur gegen fünf Werke der Gurlitt-Sammlung der Verdacht erhärtet, erst zwei sind bisher restituiert. Nachdem die Taskforce aufgelöst wurde, wird am Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg weitergeforscht. Für 117 Stücke der Kollektion gibt es noch Hinweise auf „NS-verfolgungsbedingten Entzug“, für 25 gilt „höchste Priorität“, sie sind stark verdächtig. Größere Entdeckungen sind trotzdem nicht zu erwarten.
Tagesspiegel 2/2016



  

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