Direkt zum Hauptbereich

Architektin und Historikerin "Sehen lernen" - Kaija Voss teilt gerne ihr Wissen über Gebäude und deren Geschichte




Kaija Voss hat eine Marktlücke geschlossen: Ihr vor kurzem erschienenes Buch über das Kunstareal in München ist ansprechend, fundiert und - das erste seiner Art. Im Landkreis ist die zweifache Mutter als Dozentin, Stadtführerin und kenntnisreiche Mitstreiterin im Historischen Verein Wolfratshausen bekannt.

SZ: Sie leben seit 14 Jahren in Geretsried. Mit welchem Gefühl betreten Sie das Münchner Kunstareal?
Kaija Voss: Stadt, Weite, Offenheit - das Gefühl, Teil eines großen Ganzen zu sein. Wenn man vor den Bauten am Königsplatz oder vor den Pinakotheken steht, nimmt man gleich innerlich Haltung an. Umgekehrt genieße ich den Moment auf der Heimfahrt, wenn auf der Autobahn bei Icking erstmals die Alpen auftauchen. Dieser Kontrast, das Wechselspiel zwischen Stadt und Land, gefällt mir.
Geretsried steht nicht im Verdacht, einen Schönheitspreis zu gewinnen. Können Sie als ästhetischer Mensch sich mit ihrer neuen Heimatstadt identifizieren?
Ich habe viele Heimatstädte - Berlin, München, Geretsried alles Orte, an denen ich gerne gelebt habe beziehungsweise lebe. Das erste Stück Heimat in Geretsried war für mich der Kunstbunker von Albrecht Widmann. Diese Kulturstätte gibt es nun leider nicht mehr. Aber auch wenn ich über den Karl-Lederer-Platz schlendere, fühle ich mich daheim. Mein Interesse gilt vor allem der städtebaulichen Geschichte. Ein Bunker, der in ein Wohnhaus verwandelt wurde, ist ein spannendes Sachzeugnis. Geretsried ist voll davon.
Derzeit ist die Neugestaltung des Karl-Lederer-Platzes ein großes Thema. Juckt es Sie manchmal in den Fingern, würden Sie gerne zum Zeichenstift greifen?
Überhaupt nicht. Ich bin viel mehr Historikerin als Architektin. Wenn ich zum Stift greifen würde, dann um aufzuschreiben und zu dokumentieren, was es dort derzeit zu sehen gibt - das Rathaus, den Brunnen. Ich bin kein rückwärtsgewandter Mensch. Aber mein Motto als Autorin, Dozentin und Stadtführerin lautet: Sehen lernen.
Wer lässt sich den Blick schärfen?
Die meisten Leute, die zu meinen Vorträgen und Führungen kommen, sind kunstinteressiert. Aber neulich habe ich zum Beispiel eine Gruppe von IT-lern durch die Borstei in München geführt. Sie verbringen in den Gärten immer ihre Mittagspause und wollten einmal mehr über ihre Umgebung erfahren. Jetzt wissen sie, warum es keine Balkone und Satellitenschüsseln gibt. Die Borstei ist ohnehin der Renner: Diese Führung habe ich bald schon 50 Mal gemacht - mit gleichbleibender Begeisterung - und die Wartelisten füllen sich.
Wem würden Sie gerne die Augen öffnen?
Jedem, der planerisch tätig ist. Damit unsere Städte und Dörfer nicht weiter verschandelt werden. Ich weiß ja, welcher Druck in München und Umgebung auf jeder noch so kleinen Immobilie lastet.
Wohin würden Sie denn zum Beispiel den Wolfratshauser Bauausschuss führen?
Nach Kolbermoor ins Spinnereigelände: ein historisches Gelände im Einklang mit hervorragenden modernen Gebäuden.
Und in München?
Ins Lenbachhaus, einem meiner Lieblingsplätze, weil es dort eine solche Vielfalt gibt, so viele Durchblicke. Weil es das Machbare erleben lässt: Dass sich Alt und Neu durchaus vereinbaren lassen.
Wie ist es Ihnen gelungen, als erste Autorin ein Buch über das Kunstareal München zu schreiben?
Auf die Idee hat mich ein Artikel in der SZ Anfang 2012 gebracht. Da hatte ich gerade mein zweites Buch über die Berliner Museumsinsel beendet und war sensibilisiert für zusammenhängende Museumslandschaften. Ich habe den Artikel gelesen und dachte mir: Genau, das wird dein Thema. Zusammen mit dem MünchenVerlag, in einer wunderbaren Zusammenarbeit mit meiner Projektbetreuerin Lioba Betten, ist das Buch in der vorliegenden Form entstanden. Als Einzelkämpferin wäre es sehr schwierig geworden.
Warum?
Das Kunstareal hat ein unglaubliches Potenzial, weil es nicht nur Museen beherbergt, sondern eine Vielzahl kultureller Einrichtungen, Hochschulen, Forschungsstätten, Galerien, Musiker, Studenten. Das macht es so lebendig - und so schwer zu vernetzen. Weil es keinen Ober-Guru gibt.
Ihr Buch fasst zusammen.
Ja, das sagen mir viele. Meine Hoffnung ist es, einen Anschub zu leisten, diesen Prozess zu befördern. In diesem Sinn sehe ich mich dann auch als Architektin, als Architektin einer Zukunft.
Nächster Spaziergang über das Kunstareal am Donnerstag, 9. Juni, 13.30 Uhr (Treffpunkt Lenbachhaus), Teilnahme 8 Euro, Anmeldung unter voss@architektur-sehenlernen.de; Das Buch "Kunstareal München" ist im MünchenVerlag erschienen und kostet 19,99 Euro
zur Startseite

Beliebte Posts aus diesem Blog

Lageplan

Indes bestätigte das staatliche Bauamt München I zuletzt, derzeit an einem "Masterplan Freiflächengestaltung" für das Kunstareal zu arbeiten. Bis Ende 2016 soll er fertig sein.

Der Marktplatz der Museen (SZ vom 14.03.2016) Das Vorhaben, das Kunstareal rund um die Pinakotheken als Marke zu etablieren, kommt nicht recht voran. Das "Münchner Forum" stellt nun eine Forderung an Freistaat und Stadt. Von Stefan Mühleisen, Maxvorstadt Geträumt und geschwärmt haben schon viele vom Münchner Kunstareal, warum sollte Kultusminister Ludwig Spaenle ( CSU ) da eine Ausnahme machen. Das Kunstareal, so schildert er den Gästen beim Neujahrsempfang der Maxvorstädter CSU seinen Traum, könne eine "Agora" sein, ein Marktplatz, ein Mittelpunkt "für dieses weltweit größte Museumsquartier".   Dann spricht er noch von der "Jahrhundertchance" und schließt so: "Man kann träumen, was hier noch möglich ist." Allein, es gibt Menschen i

Wie umgehen mit den Propagandakunst des Nationalsozialismus?

Anlässlich der Ausstellung "Gegen Kunst. »Entartete Kunst« - NS-Kunst - Sammeln nach '45" vom 20.05.2015 bis 31.01.2016 in der Pinakothek der Moderne in München diskutieren führende Experten den Umgang mit NS-Kunst im Kunstmuseum und die Herausforderung für unseren Kanon der Moderne. Darf man Kunst des Nationalsozialismus in einem Kunstmuseum überhaupt präsentieren? Oder sind die Tabuisierungen von NS-Kunst überhaupt noch zeitgemäß? Podiumsdiskussion mit: Magnus Brechtken (Institut für Zeitgeschichte München – Berlin), Christian Fuhrmeister (Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München), Stefan Koldehoff (Deutschlandfunk, Köln), Julia Voss (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Silke Wenk (Universität Oldenburg), Christoph Zuschlag (Universität Koblenz-Landau) Infos zur Austellung: http://www.pinakothek.de/gegenkunst